Eine Goldhaube zu sticken ist ein Ritual. Meditation, Konzentration, Leidenschaft. Aber auch Verzweiflung. Was man dabei lernt: Geduld. Durchhaltevermögen. Beständigkeit. Selbstdisziplin. Stille. Und dass eine Goldhaube wahnsinnig wertvoll ist. Eigentlich unbezahlbar. Üblicherweise wird sie vererbt, für die Enkelin angefertigt, oder gebraucht gekauft. Die reine Arbeitszeit liegt bei 200-400 Stunden, je nachdem, wieviel man draufstickt, welche Materialien verwendet werden, wie präzise man arbeitet und welche Muster man machen möchte.
Für diese erste Goldhaube habe ich etwa 1200 Euro Materialkosten gehabt und 230 Stunden reine Arbeitszeit.
Der Stoff auf dem gestickt wird, nennt sich „Handwebe“ und ist durchzogen mit Goldfäden. Gestickt wird mit vergoldeten Pailletten, vergoldeten Perlen, Goldflitter in verschiedenen Formen (Ovale, Blüten, welche mit Bauch nach oben, welche mit Bauch nach unten.) Und die klitzekleinen Flitter-Plättchen haben alle noch keine Löcher, wenn man sie kauft. Jedes einzelne Plättchen wird deshalb per Hand viermal gelocht (mit einer Ahle und einem Hammer durchschlagen, aber nicht zu stark, sonst bricht das Blättchen oder das Loch reißt aus) und jedes Plättchen wird danach mit einer Feile abgefeilt, damit die Ränder des durchgeschlagenen Metalls später den Nähfaden nicht durchschneidet.
Aber bevor man überhaupt zu nähen beginnen kann, muss natürlich erst das 116 cm lange Handwebe-Band auf der Rückseite mit Futterstoff benäht werden und der untere Rand mit Soutache benäht werden. Ob man alles händisch näht oder teilweise eine Nähmaschine verwendet, bleibt jedem selbst überlassen. Die Soutache habe ich mit der Nähmaschine genäht, den Futterstoff händisch geheftet und händisch auf das Handwebe-Band genäht. Danach wird das Band in den großen Stickrahmen gespannt. Dafür werden an den beiden Enden des Bandes „Ohrwaschln“ aus Leinen draufgenäht, sodass man ein Hölzchen durchschieben kann. Hiermit wird das Band gehalten. Das Einspannen ist eine Prozedur, die mehrere Stunden in Anspruch nimmt, allerdings lohnt es sich, hier wirklich gut zu arbeiten und alles ordentlich zu spannen, zu verknoten, reißfeste Schnur zu verwenden und darauf zu achten, dass alle Ränder gerade und straff gespannt sind. Je besser die Vorbereitung, desto schöner die Haube.
Wenn nun alles gut befestigt ist, sucht man sich entweder eine alte, traditionelle Mustervorlage, oder man zeichnet selbst ein schönes Muster auf säurefreies Papier. Mit Bleistift wird jede Linie vorgezeichnet, das Papier danach auf das Band geheftet. Danach kann die Materialauswahl beginnen. Ich überlege, welche Linien sollen stärker hervortreten, was will ich mit Perlen machen, was mit Pailletten, was mit Flitter. Da Flitter extrem teuer und sämtliches Material zudem nur in Deutschland erhältlich ist, hier in Österreich also über Zwischenhändler verkauft wird, die in großen Mengen einkaufen und es noch teurer weiterverkaufen, habe ich mich für mehr Pailletten entschieden.
Pailletten werden mit einem doppelten Nähfaden genäht und es gibt einen „Überlege-Faden“ der mit einem Goldfaden verzwirbelt ist. Der Überlege-Faden bleibt sichtbar und glänzt, der Nähfaden ist nur dazu da, den Überlege-Faden zu halten und verschwindet in der Handwebe. Die Pailletten können dicht nebeneinander oder überlappend (wie Schuppen) genäht werden, oder auch einzeln, dann werden sie mit einer kleinen Perle befestigt. (Zum Beispiel beim „Ausflittern“, so nennt man es, wenn das fertig gestickte Band in allen Freiräumen zwischen der Stickerei noch einzelne Paillettenpünktchen bekommt, damit keine leere Fläche bleibt.)
Man beginnt nun, alles was am Papier gezeichnet wurde, vollständig mit Nadelstichen zu perforieren. Hier muss später das Papier reißen, damit man es mit einer Pinzette unter der Stickerei hervorziehen kann. Bleibt auch nur ein Fuzzel Papier zurück, läuft früher oder später das Gold an und sieht dunkler aus. Man verbringt viele, viele Stunden mit Papier zupfen. Sobald man ein Stück bestickt hat, zupft man auch schon wieder das Papier heraus und unter dem Papier kommt die goldene Handwebe hervor. Das bedeutet, je weiter die Arbeit voranschreitet, desto goldener wird der Arbeitsplatz. Das motiviert sehr. Die einzelnen Pailletten, Flitter und Perlen, sowie Drahtstücke, die man auf 5mm zuschneiden muss, sind ja alle extrem klein und es dauert sehr lange bis man Fortschritte sieht. Und wenn man, so wie ich, Anfangs einen falschen Faden verwendet und dann nach der Hälfte der Haube draufkommt, dass man alles nochmal auftrennen muss, kann das so viel Überwindung kosten, dass man eine Woche alles liegen lässt, weil man den Stickrahmen nicht mehr lieb hat.
Man beginnt, während der Arbeit zu zählen. Man zählt die Stiche, die Pailletten, die Drahtstücke. Immer wieder braucht man mehr Material. Man locht und feilt und zählt und stickt und zupft und zählt und schneidet Drahtstücke, immer und immer wieder. „Acht Millimeter, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht. Fünf Millimeter, eins, zwei, drei, vier, fünf.“ Immer und immer wieder.
Irgendwann läuft es wie von selbst, dann kann man Hörbücher horchen. Es beginnt zu flutschen. Man braucht nicht mehr mitdenken. Die Handbewegungen sitzen, das Zählen passiert von selbst, das Zupfen ist nicht mehr anstrengend, es nervt nicht mehr. Jeden Tag stelle ich die Stoppuhr, starte mein Hörbuch, setze mich an den Rahmen und sticke exakt zwei Stunden lang. Danach Stoppuhr anhalten, Hörbuch schließen, Rücken- und Dehnungsübungen. Das ist wichtig, denn man sitzt buckelig, braucht eine Tageslichtlampe, sonst wird man blind und bucklig. Das Gold verschwimmt einem vor den Augen, der Rücken schmerzt, man versucht es mit einem Sitzball, Polstern, am Boden sitzend und stehend.
Ist nun das komplette Band mit Material bestickt und alles Papier herausgezupft (sicherheitshalber nochmal mit der Pinzette unter jedes Flitterplättchen drunter stochern) kann das Band aus dem Rahmen geschnitten werden. Ein Feiertag! Was werde ich mit dem Rest meines Lebens anfangen? Wird es Depressionen geben? Falle ich in ein tiefes, schwarzes Loch? Aber man hat eigentlich keine Zeit darüber nachzudenken, denn noch ist die Goldhaube ja nicht fertig. Der Knauf mit weiteren 30-50 Stunden Arbeitszeit wartet. Stramin wird zugeschnitten, Stoff wird zugeschnitten, mit Faden geheftet, mit Schneiderkreide vorgezeichnet. In Form gebracht, per Hand zu einer Kugel genäht. Danach überlegt man sich ein Muster für die Stirnseite, zwei Muster für die Seitenteile, ein Muster für den Kopfteil. Die Muster werden aus Filz nachgebildet. Runde Filzplättchen, eckige Filzblättchen, KLEINE Filzplättchen vor Allem. So viele, dass die Stoffkugel komplett damit bedeckt ist und nirgends mehr als 1-2 Millimeter frei bleiben. Ich habe zusätzlich einen Rand aus Schuppen-Pailletten rund um die Kugel genäht. So war der Rand schön sauber bestickt und nichts mehr vom Stoff darunter sichtbar. Die Filzplättchen werden danach einzeln mit dünnem Stoff überzogen, Hinten festgenäht oder zusammengezogen. Alle Ränder von allen Plättchen werden mit Schuppen von Pailletten bestickt. Alle Oberflächen werden mit Drahtstücken und Pailletten bestickt, jeder freie Millimeter mit Perlchen. Alle diese Einzelteile werden danach so, wie sie geplant waren, auf die Stoffkugel genäht. Alle Zwischenräume gefüllt. Bis der komplette Knauf rundherum vollständig bestickt ist und die bestickten Filzplättchen zu „Buckeln“ geworden sind. Danach kann der Knauf mit Holzleim geleimt werden. Das dauert mehrere Tage, da der Leim mehrmals erhitzt und abgekühlt, in den Knauf gestrichen, getrocknet und das Ganze vier Mal wiederholt werden muss.
Danach wird das Haubenband im oberen Teil gerafft, dazu zieht man reißfesten Faden ein und zieht die Haube oben fest zusammen, bis der Faltenwurf schön ist, das Stirnteil gut sichtbar. Jetzt kann man die Mitte ausrichten, und das Band am Drahtgestell befestigen. Oben wird der geraffte Teil festgenäht, unten wird die Soutache überstehend festgenäht, sodass man von vorne das Drahtgestell nicht sieht. Weiter geht es mit dem Nähen des Innenfutters, der Stoff wird oben mit Tunnelzug und Kordel versehen, unten wird ein Samtband befestigt, das später auf der Stirn der Goldhaubenträgerin aufliegt, gegen Schweiß und Rutschen.
Nun wird der Knauf befestigt, der kostet einigen Nadeln das Leben und die Näharbeiten werden mit einer Beißzange fortgeführt, da man durch den mit Holzleim gestärkten Knauf und die Enge Arbeitsfläche (im inneren der Haube oben, wo nur noch eine kleine Öffnung ins Innere des Knaufes führt, am Besten arbeitet man da mit einer Ledernadel oder Rundnadel) immer wieder an seine Grenzen stößt. Wenn alles sitzt, wird der Flügel der Haube genäht, das Drahtgestell ordentlich ausgebogen, das Innenfutter auf die vorstehende Soutache genäht, aber so, dass das Samtband von außen nicht sichtbar ist, also wieder einen Millimeter dahinter.
Die handgeklöppelte Schleife, die ich mir von Salzinger Christine (Teddys Handarbeiten) machen habe lassen, wird mit Draht umnäht, damit sie in Form bleibt, zu einer Schleife gebogen, auf die Haube gebunden und seitlich festgenäht. Flügel, Knauf und Stirn mit einem leichten Handkantenschlag ausgerichtet, (der Trick mit dem Knick) und fertig ist die Goldhaube.
230 Arbeitsstunden und 1200 Euro Materialkosten später kann die Goldhaube nun der zukünftigen Besitzerin übergeben werden. Und ich würde keine Sekunde zögern, am selben Tag noch mit der nächsten Goldhaube anzufangen.
Hilfe und Unterstützung bekam ich bei diesem Projekt von Birgit Aigner in Krenglbach, Oberösterreich. Sie bietet in ihrer „Werkgruppe Klosterarbeiten“ professionelle Unterstützung, Kurse, Material, Fachwissen, Vorlagen, Leih- Stickrahmen und Leih- Nähmaschinen, Stoffe, und alles, was man braucht, von der Pinzette bis hin zur seelischen Aufrichtung und stoischen Ruhe und ist bei jedem Problem zur Stelle. Vier Mal bin ich zu ihr gefahren, während meiner Arbeit an der Goldhaube, jedes Mal haben wir 8 Stunden gearbeitet, ich bekam Tipps, Material und hatte Austausch mit anderen Damen aus der Schweiz, aus Deutschland und Österreich, die Perlbeutel strickten, Mädchenbänder stickten oder verschiedenste Techniken der Klosterarbeit erlernten. Es tut gut, sich auszutauschen, sich gegenseitig zu bestärken, zu unterstützen, es entstehen Freundschaften, es ist eine geteilte Leidenschaft.
Der zukünftigen Goldhaubenträgerin wünsche ich, dass sie allzeit gut behütet und beschützt ist, dass das Neidvogerl gut auf ihre Haube aufpasst und das Gold strahlen und glänzen möge.