MEDITATIVES GOLDSPINNEN

Eins.

Ich versuche mit einem 0,16 mm dünnen Draht eine klitzekleine weiße Perle zu erfassen, um sie auf den Draht zu schieben.

Zwei.

Während ich versuche, Nummer zwei zu erwischen, rutscht Nummer eins wieder vom Draht. Ich biege ihn deshalb ein wenig nach oben und zwicke ihn zwischen Daumen und Zeigefinger fest ein, damit er sich nicht nach unten verdrehen kann.

Nochmal Eins.

Zwei.
Drei. Es dauert eine Weile, bis ich sie richtig erwische.
Vier und Fünf.

Zwei Perlen kleben aneinander. Da es Wachsperlen sind, geschieht das manchmal. Glück für mich, dann kann ich mit einer Drahtbewegung zwei oder manchmal sogar drei Perlen auf einmal erwischen.

Sechs.

Fast rutscht sie mir wieder vom Draht, aber ich kann es grade noch mit einer Drehung des Handgelenks verhindern. Sie rutscht wieder an ihren Platz.

Sieben, acht, neun.
Drei Perlen auf einmal, was für eine Freude.

Zehn.
Die elfte Perle lässt sich Zeit. Mehrmals muss ich versuchen, den Draht in das klitzekleine Loch zu schieben, aber immer wieder springt sie mir davon. Dann erwische ich sie endlich.

Zwölf.

Nur noch drei Perlen, dann kann ich beginnen, das Blatt aus aufgefädelten Perlen zu wickeln.

Dreizehn.

Die Vierzehn lässt sich auch bitten. Nach drei Versuchen habe ich sie.

Mein Genick schmerzt, da ich den Kopf weit nach unten gebeugt halte um genau zu sehen, wohin der Draht muss, damit er die kleinen Perlen erwischt. Ich richte mich kurz auf um mich zu dehnen, werfe einen kurzen Blick aus dem Fenster und sehe, wie meine Katze mit einer Maus spielt. Ich beobachte sie eine Weile, danach versuche ich die fünfzehnte Perle zu erwischen. Glück gehabt. Sie rutscht wie von selbst auf den Draht. Ich halte das Ende des Drahtes fest, damit die Perlen nicht wieder runter rutschen können.

Vor mir liegt ein bereits vorgefertigtes Teil, das aus Messingdraht gebogene Blatt mit Stiel, die Umrandung des Blattes mit Silberdraht oval gebogen. In dieses Oval kommen die 15 Perlen nun nach der Reihe hinein. 

Zuerst eine Perle, dann einmal rundherumwickeln.

In die zweite Reihe zwei Perlen, wieder rundherumwickeln.

Dann in die dritte, vierte und fünfte Reihe drei Perlen, dann wieder zwei Perlen und zum Abschluss noch eine Einzelne.

Wenn alle Perlen an ihrem Platz sitzen, drücke ich sie nochmal fest in das silberne Oval, damit es gleichmässig aussieht. Zum Schluss hole ich die "Ederschlinge" aus einer Lade - das ist ein feiner Messingdraht, der um eine Nähnadel gewickelt und flachgedrückt wurde und deshalb lauter kleine Schlingen bildet. Ich biege den Schlingendraht einmal um das Blatt herum und schneide zurecht, wieviel ich davon brauche.

Dann greife ich nach einem Kistchen in dem sich extrem feiner Silberdraht befindet. Er ist so fein, dass ich ihn manchmal gar nicht richtig sehen kann, deshalb brauche ich gutes Licht, wenn ich ihn verwende.

Während ich also die Ederschline um den Blattrand gewickelt festhalte, wickle ich mit dem feinen Silberdraht die Ederschlinge rund um die Perlen und die Ederschlinge herum um sie zu befestigen.

Einmal, zweimal, dreimal, bestimmt dreizehn Mal wickle ich, bis ich zuletzt am Stiel des Blattes noch fünf bis sieben Wickelbewegungen mache, damit es fest hält und nicht mehr aufgehen kann.

Dann drehe ich den Draht fest, zwicke die losen Enden ab und fertig ist EIN BLATT.

Eines.

Neun davon hab ich gestern gemacht.
Etwa 8 Minuten pro Blatt brauche ich.

Und das sind nur die Blätter. 

Manche Blüten brauchen noch viel mehr Zeit. Für jede Blüte werden fünf Blütenblätter benötigt. Und für eine Madonna im Glassturz brauche ich viele verschiedene Blüten und von jeder Sorte mindestens 10 oder mehr...